Clemens

Aus dem Archiv der Stadt Kreuztal (an dieser Stelle erneuter Dank an Dietmar Stahlschmidt)

Ein romantisch klingender, aber wahrer Lebenslauf von Clemens Stahlschmidt, *08.04.1895 als neuntes von dreizehn Geschwistern1. Meine lieben Eltern waren Robert und Amalie, geb. Busch2.

Meine Eltern verloren früh ihre Eltern, wurden bei Verwandten erzogen. Mein Vater auf dem Irlenhof, wo er 1870 in die Schlosserlehre kam, aber viel mit Landwirtschaft beschäftigt wurde. Nach der Lehre ging mein Vater auf Wanderschaft. Es war nur immer für Tage und Wochen Arbeit vorhanden, und so kam er erst nach Schalke, von da zu Krupp, Mühlheim, Duisburg, Westerwald, Eisenbahnwerkstätte Siegen. 1878 wegen Arbeitsmangel entlassen. Wieder Irlenhof, für Essen und Trinken gearbeitet. April 1879 geheiratet. Oktober Arbeit bei Justus Stahlschmidt. Tageslohn für 12 Stunden 3,50 Mark. Später 5,00 – 6,00 Mark. Nach Aufbau des Walzwerkes, 1882 Werkmeister mit 175,– Mark Monatsgehalt. Erster Urlaub 1912. Oft nachts um 10, 12 oder 2 Uhr kam ein junger Mann und sagte: “Meister, bei uns ist eine Walze gebrochen.” Er: “Ich komme gleich.” Oft bis in die nächste Nacht. Wir Kinder brachten 3 – 4 mal Essen nach Kreuztal. Trotz allerschwerstem Dienst war mein Vater im Gemeinderat, Kirchenrat, Haubergsvorsteher, Schiedsmann und Rechtsberater ohne Entgelt. Oft sonntags nach der Kirche kamen Arbeit kamen Arbeiter aus Ferndorf, Kreuztal, Fellinghausen, Osthelden, Buschhütten und hatten Haus- oder Familiensorgen. Nachmittags schrieb mein Vater am Gericht oder bei Behörden. Abends wurden wir Kinder zu den Leuten geschickt um Unterschriften zu holen. Da fielen manchmal ein Groschen, eine Tafel Schokolade oder ein paar Äpfel ab, was mit Dank entgegengenommen wurde. Manchmal brachte einer ein Pfund Butter oder Speck. Da unser Haus noch ein Strohdach hatte, musste mein Vater ziemliche Hypotheken aufnehmen. Wie konnte der körperlich schwächliche Mann das alles schaffen? Dagegen sind wir Waisenknaben. Von 1903 bis 1911 wurden Wasserleitung und Separation durchgeführt. Vom Kindelsberghang durch das ganze Dorf von Italienern mit Hacke, Schaufel und schwerer Holzkarre ausgeführt. Die Leute wohnten bei Familien für 25 Pfennige für eine Nacht. Dann kam die Separation, wie sie wohl in Deutschland einmalig ist. Dem damaligen Gemeinderat, an der Spitze Jost Heinrich und Wilhelm Berg, müsste Ferndorf ein Denkmal setzen. Blieb es bei einem Lohn von 2,00 – 6,00 Mark, pro Schicht 12 Stunden, und wie mir Vater mal erzählte, bekam Wilhelm Berg monatlich 10,00 Mark. Alles mit Hand schreiben, Verhandlungen mit Amt und Gericht führen, Stellmacher, Landwirt und Fleischbeschauer. Hut ab vor diesen beiden Männern.

Aber das alte ist schnell verklungen. Das merkte ich als ich 1938 von Berlin nach Ferndorf fuhr. Drei junge Flieger in meinem Abteil machten sich lustig über die Pappkisten aus dem 1. Weltkrieg. Nachdem sie genug gespöttelt hatten, sagte ich: “Gestatten Sie meine Herren, ich war auch einer von den Monteuren der Pappkisten; aber wenn die nicht gewesen wären, hätten sie heute keine modernen Flugzeuge. Die Flieger damals hatten auf dem Armaturenbrett Kompass, Tourenzähler, Öl- und Benzinmanometer und wurden damit von Russland nach Deutschland geschickt, und sie kamen sogar hin. Eigentlich müssten sie sich schämen über Ihre Äusserungen.” Einer nach dem anderen kam und entschudigte sich.

Nun, wir hatten eine Kuh und 2 Schweine. Eins wurde geschlachtet, das andere verkauft, um die Zinzen zu bezahlen. Wir mussten früh in Feld, Wiese und Hauberg mithelfen. Oft sagte unsere liebe Mutter: “Ja, ihr lewe Kinger, hö görret Schmalhans Küchenmeister. Duffeln, Zwöbbeln un Stipp un e Köppche sure Melch, ohne Schmand.” Und wir wurden gross und stark dabei.

Mit 6 Jahren kam ich in die Schule. Meine Mutter gab mir einen Zettel mit. “So, den gibst Du Fräulein Lange.” Damit war mein Schulanfang, ohne grosse Tüte, besiegelt. In der Freizeit beschäftigten wir uns mit harmlosen Spielen. Mücke brumm, brumm, Gote werfen (?), Räuber und Gendarm, Schlittenfahren, Schwimmen in der dreckigen Ferndorf usw., alles, was nichts kostet. Keine Hockeyschläger für 40.– DM und keine Tennisbälle. In den grossen Ferien 1905 kam mein Vetter mit Pferd und Wagen, um auf die Dörfer Fleisch und Wurst zu bringen (Ferndorf, Kredenbach, Dahlbruch, Müsen). Ich fragte, ob ich mitfahren dürfe. “Ja”. Zum Frühstück bekam ich ein grosses Stück Wurst und zwei Brötchen. Für mich ein Festessen. Als wir auf dem Heimweg waren, sagte mein Vetter, ich könne gut helfen Heu machen. Mutter erlaubte es, froh einen Esser weniger zu haben. Aber es wurde mir nichts geschenkt. Mein Onkel3, ein sehr berechenbarer Mann, gab mir abends ein Stückchen Leber- und Blutwurst … 60 Pfennig. Wenn Tante Lina mal alleine war, was selten vorkam, bekam ich eine halbe Fleisch- und eine halbe Bratwurst, was immer ein bisschen half. Aber viel Arbeit – Ställe ausmisten, Fleisch und Wurst wegbringen, da und dort ein Kalb holen und anderes. Ich bezog deshalb in der Schule viel Schläge, weil die Schularbeit nicht immer einwandfrei war. Im Sommer 1907 oder 1908 machten die 4 ältesten Klassen einen Ausflug zur Atta-Höhle. Jeder sollte 90 Pfennig mitbringen. Ich sagte es Mutter. “Ja, Junge ich kann dir die 9 Groschen nicht geben. Sag es Vater.” Vielleicht traute ich mich nicht. Ich konnte als einziger nicht mit. Und so musste ich vormittags 4 Stunden und nachmittags 2 Stunden in eine jüngere Klasse zur Schule gehen. Zwei oder drei Jahre später ging es meiner Schwester Frieda ebenso. Es waren akademisch gebildete Lehrer, aber ohne Herzensbildung. Und so verging die Zeit mit viel Arbeit nach der Schule bei Onkel August, bis zu meiner Konfirmation, 1909, wo mir Tante Lina einen Konfirmationsanzug schenkte und zum Kaffee kam.

Und so fing der Ernst des Lebens an. Mit viel Versprechungen meines Onkels und viel, viel Warnungen meines Vaters lernte ich Metzger. Die Arbeit begann um 5 Uhr morgens und endete abends zwischen 9 und 10 Uhr. Drei Gesellen und ich als Lehrling. Es wurden in der Woche 30 bis 40 Schweine geschlachtet, 10 bis 12 Rinder, 10 bis 20 Kälber. Vor dem Frühstück musste ich mit zur Kreuztaler Hütte, 2 bis 3 Zentner Wurst und Fleisch mit Sultan, dem Ziehhund, hinbringen. Es musste um halb 7 da sein. Nach dem Frühstück musste ich mit dem Fahrrad Fleisch und Wurst wegbringen. Montags gab’s 10 Mark Wechselgeld und es wurde alles genau notiert. Freitags fuhren wir mit 2 Pferden ins Sauerland bis Olpe. Hinter dem kölnischen Heck hinauf gab’s ein Butterbrot und Wurst zum Frühstück. Dann ging es durch bis nachmittags um 3 Uhr in Wenden, wo Kaffee getrunken und Pferde gefüttert wurden. Natürlich hatte man auch zwischendurch mal Hunger auf ein Stück Kuchen oder Schokolade. Sonntags nach der Kirche kam die Abrechnung von der ganzen Woche, die natürlich nicht stimmte. Und so wurde ich 2 Stunden gequält und sollte den Nachweis erbringen, wo das fehlende Geld war, was im Höchstfalle mal 1 bis 2 Mark waren, was unmöglich war. Und da musste man in Gaststätten liefern, Bestellungen annehmen und dafür pro Gastwirt 10 Pfennig Spesen angerechnet wurden. Und wenn keine Bestellung erhalten, gab’s lange Gesichter. Freitag und Samstag um 3 Uhr Wecken, alles zurechtmachen für’s Sauerland. Abends um 9 Uhr kamen wir mit 6 bis 8 Kälbern zurück. Von 60 Sonn- und Feiertagen hatte ich an 40 keinen Groschen in der Tasche. Wenn ich meinen unvergesslichen Schulfreund Ernst Bernshausen nicht gehabt hätte, der ab und zu mal Fahrgeld und Kino für mich in Siegen spendierte. Und so ging die Lehre am 31.3.1912 zu Ende. Gesellenprüfung mit “Gut” bestanden.

Aber nach all den Versprechungen konnte ja ein Stahlschmidt kein Metzger sein. Und so kam ich durch Vermittlung meines Bruders nach Berlin und wurde Dreher. Bis 1/1915, Gestellungsbefehl zur Marine. Aber nochmal ein halbes Jahr reklamiert bis 1.10.1915, dann nach W-haven und wurde infanteristisch ausgebildet und kam auf Prinz-Regent-Luitpold (25.600 t, 10 Geschütze à 30,5, 16 à 15,0 und 6 à 8,8, und 4 Torpedoausstossrohre). So wurde ich Seemann. Wir waren 5 Tage auf Vorposten und 5 Tage im Hafen oder auf Innenreede. Alle 10 Tage 300 – 2500 t Kohle übernehmen. Öl? Und so begann die einsame Arbeit. 6 Uhr Wecken, überall zurrt Hängematten auf, sich waschen, Anzug, Tagesanzug. Nach Frühstück alle Decks fegen und scheuern. Danach Geschütz frei, Freiübung oder Netzmanöver. Eine schaurige Arbeit. Ach, wenn es so schönen Eisregen gab. Wenn wir von draussen reinkamen Trossen anbringen, nächsten Morgen Kohlenübernahme. Anfangs bekamen wir immer noch morgens eine kräftige Suppe oder ein Stück Wurst, auch bekamen wir zu der Zeit noch Arbeitszeug für schmutzige Arbeit, was später alles wegfiel. Da wir aber Kleidergeld bekamen, schonte jeder seine Sachen um etwas Kleingeld übrig zu haben und so liessen wir uns von zu Hause alte Männer und Frauenkleidung schicken. Bildeten die unmöglichsten Figuren. Unterwäsche von Mädchen, alte Morgenröcke von Oma und anderes. Eines abends sassen wir in Steuerbord, 6. Kasematte und unterhielten uns über Krieg und Frieden. Da sagte ich als einer der Jüngsten: “Wenn Otto Weddingen mit seinem kleinen U-Boot in einer Nacht 3 Panzerkreuzer versenken kann, dann müssten wir ja eigentlich mit unseren Paradeschiffen verschwinden.” Wir hatten Jahrgang 1910 – 1915 an Bord und die Begeisterung war damals noch ziemlich gross. Ich musste ganz kleine Brötchen backen sonst hätte ich noch eine Tracht Prügel bezogen. Prinz-Regent-Luitpold war 1913 ausser der Reihe in Dienst gestellt worden und sollte schnell zum dritten Geschwader eingereiht werden, weshalb jedes Schiff eingearbeitetes Personal abgeben musste. Natürlich gaben die Kapitäne nur solche ab, die was auf dem Kerbholz hatten. Weshalb Prinz-Regent-Luitpold in der Flotte den Namen “Verbrecherschiff” erhielt. Aber es waren Kerle die nicht zu allem Ja und Amen sagten und keine Verbrecher und so hatte Prinz-Regent-Luitpold viele Jahre lang den Kohlenpreis. Nach der verlorenen Schlacht bei Helgoland 1915, wo Admiral Ingenohl abgelöst wurde und einen Ruheposten in Kiel bekam, wurde Admiral Scheer Befehlshaber der Flotte. Von da an wurden öfter grosse Vorstösse gefahren. Einmal sollen die grossen Kreuzer die englische Küste beschossen haben, bis es dann zur Skagerakschlacht kam. Wir liefen früh aus, bekamen gutes Essen, bis gegen 16 Uhr die erste Meldung kam. Die kleinen Kreuzer befinden sich in Gefecht. Die grossen Kreuzer und Dampfschiffe Volldampf voraus bis gegen 18 Uhr. Da fielen bei uns die ersten Schüsse. Ca. 3-4 Stunden lang. Ich war Helfer bei der Signalabteilung in der Steuerbord BG – Kasematte, mit 3 Mann und einem grossen BG-Messer, womit man weit über den Horizont sehen konnte und sahen etliche Schiffe untergehen. Kronprinz fuhr an Steuerbordseite von uns. Das einzige Linienschiff mit BG-Messer im Vordermast. Viele Salven wurden auf Kronprinz abgegeben, einmal zu lang, einmal zu kurz und man war erstaunt, dass Kronprinz keinen Treffer bekommen hatte. Dann, nach Mitternacht, hatten wir nochmal ein Gefecht. Der grösste Verlust den Deutschland hatte, war der Panzerkreuzer Lützow, das neueste Schiff. Warum musste Lützow untergehen? Es hatte viele Treffer an Deck erhalten und somit waren die Stahltrossen von den Torpedonetzen heruntergeschossen worden und in die Schrauben gekommen. Völlig manövrierunfähig und ein wunderbares Ziel. Und so fuhren wir heimwärts an Seydlitz vorbei. Das ganze Vorderschiff tief im Wasser. Derfflinger, von der Tann mit schwerer Schlagseite langsam mit 1/4 Kraft. Seydlitz lag ca. 14 Tag vor der Schleuse, ehe es eingeschleppt werden konnte. In der Ka..schutzkammer waren noch 2 Mann lebend, wie mir ein Kamerad von Seydlitz erzählte und wurden durch Sprachrohre gefüttert, weil sämtliche Zugänge durch Wasser gesperrt waren. Bei der Rückfahrt war ich an der Lotmaschine Steuerbord Aussendeck und die Ostfriesland fuhr an unserer Seite. Auf einmal sah ich, wie eine hohe Wassersäule am Vorderschiff aufkam und war auf eine Mine gelaufen. Im Trockendock sah ich mir den Schaden an. Ein Loch von ca. 1 m und eine riesige Beule am Schiff. Wir liefen in W-haven ein, nahmen ca. 2.500 t Kohlen und fuhren als erstes Schiff wieder raus auf Vorposten. Das Essen war schlecht und wurde schlechter und so kam es, dass wir eines Tages auslaufen sollten, ausser Plan. Es fehlten ca. 200 t Kohlen, die von der 3. Division übernommen werden sollten, was sonst ca. 2 Stunden gedauert hätte. Doch es dauerte bis nach 15 Uhr. Wir hatten viel Freiheit an Bord und sollten 1mal am Tage grüsen, was selten mal geschah. An jenem Tag waren zwei Prachtkerle (Bayern) im Schleppkahn. Vierjährig Freiwillige, Jahrgang 1910. Aber immr noch Matrose, mit Namen Gigl und Bemsl, die ich nie vergessen werde. Und die Arbeit ging im Schneckentempo. Offiziere und Bootsleute an Deck brüllten: “Gigl, schaufeln Sie mal!” “Jawohl, Herr Oberleutnant.” Stramme Haltung annehmen. Eine Schaufel, wieder Stillstand. Und so bis 15 Uhr. Aber das Essen wurde nicht besser. Und an vielen Ecken konnte man lesen: “Gleiche Löhnung, gleiches Essen, wär der Krieg schon längst vergessen.” Ich wohnte Steuerbord, 6. Kasematte, dazwischen war die Offiziersküche und jeden Tag wurden die wohlriechenden Suppen- und Bratenschüsseln an unserer Nase vorbeigetragen und zur Offiziersmesse gebracht. Das brachte Verbitterung. Wund wir wurden viel mit den “Oldenburger Südfrüchten” gefüttert, daher das schöne Lied: “Oh Oldenburg von heute, du bist mein Paradies. Da tragen alle Leute grosse Händ’ und grosse Füss’. Eine Frucht gedeiht im Lande, dem Seemann wohlbekannt, da schreit die ganze Bande: Heil dir, oh Oldenburger Land.” Wenn es Klippfisch gab, ich darf nicht mehr daran denken. Und vielleicht einmal im Monat Erbsen mit Speck oder Klösse mit Backobst, das war ein Festessen. Und so kam Essensverweigerung, Marsch im Kohlenzeug nach Mariensiel, Gehorsamsverweigerung und trauriges Ende in England.

Ende 1916 nahm Grossadmiral Tirpitz seinen Abschied. Warum? Er wollte keine Paradeschiffe mehr bauen und nur U-Boote, da es zu der Zeit noch kein Radargerät gab. Nein, es mussten Paradeschiffe gebaut werden. Bayern, Baden, Hindenburg, Mackensen, der allerdings nicht mehr ganz fertig wurde. 38.000 t, 38-iger Geschütze und anderes. Alles frachtfrei nach Scappaflow. Aber hat die Welt davon gelernt? Statt Paradeschiffe werden heute absturzsichere Flugzeuge gebaut. Ich gönne niemand die Lehre und Krieg, was ich hinter mir habe. Aber wird die Welt den heutigen Wohlstand verkraften können? Siehe Alkohol, Hasch, Mord, Vergewaltigung und anderes.

Ende 1916 wurde ich als Dreker reklamiert. Aber ich kam nur zur Kompanie W-haven. Da kam ein Befehl von Admiral Scheer, dass keine aktiven Mannschaften mehr zu entlassen sind. Und so kam ich auf Minensuchboot der Jade. Otto, der Koch, ehemaliger Sossenkoch vom Imperator, war ein Künstler im Kochen. Wir fischten auch nebenbei mal und so war das Essen prima. Einmal wurde Klippfisch eingeweicht, da sagte ich zu einem älteren Kameraden: “Morgen muss ich hungern.” “Warum, du dummer Bengel, da leckst du dir alle Finger nach.” Und so weiter. Und so kam es, Otto kochte den Fisch ab, zog die dicke Haut ab, machte Frikadellen darauf und seine Spezialsosse. Es war einfach prima. Es war ein gemütliches Kommando an Bord. 18 Mann Besatzung. Aber ich wurde bald abkommandiert und kam auf Vorpostenboot Elsdorf (ehemaliger Fischdampfer) mit 6 cm Geschütz, 18 Mann in dem ehemaligem Fischbunker mit viel Mief und wenig Luft.

Mein guter Freund Ernst Ort aus Siegen, Schmied von Beruf, baute mit unserer Hilfe einen Räucherofen, um Fische an Deck zu räuchern. Wir liessen eine Schnur mit 15 – 25 Haken ins Wasser, manchmal 6 mal 10 Fische an einer Schnur. Sommertag – ganz glatte See – Wache von 12 – 4 Uhr und ein Gewimmel im Wasser, holte meine Schnur heraus, alle Haken 24 Stück waren besetzt. Und ich hatte in den 4 Stunden ca. 900 Makrelen gefangen. Meine Kameraden, denen ich Bescheid sagte, hatten fast ebenso viel. Ich hatte das Glück nach Einlaufen auf Urlaub zu fahren. Mit meinem Seesack und mit zwei Kartons kam ich in Berlin an. Nachdem mein Bruder und einige Bekannte satt waren, stellte ich mich an die Strasse. In einer halben Stunde hatte ich schönes Urlaubsgeld.

Dann kam ich nach W-haven zu den Seefliegern. Erst in die Werkstatt, dann nach Haage in Ostfriesland, wo wir erst einen Zeppelin verschrotten mussten. Dann wurde eine Fliegerschule eingerichtet, und ich wurde zweiter Monteur. Eines Tages, der beste Flieger Kortes hatte in der Luft einen Vergaserbrand und stürzte wie eine Fackel ab. Trotz Verbrennungen 8. Grades lebte er noch 3 Tage, war noch bei Verstand, seine Eltern kamen am nächsten Tag, und er starb bei klarer Besinnung.

Mai/Juni kam ich nach Mannheim zu Benz auf die Monteursschule, auf Kursus. Ich bekam die Höchstprämie von 50 Mark und ein gutes Zeugnis. Die schönste Zeit meines Lebens beim Militär waren die 2 Monate in Mannheim. Von da aus kam ich nach Windau in Kurland4.Zweite Seefliegerabteilung, wo ich mit 2 Flugzeugen und einem 2. Monteur die gute 8 23 mit 160 PS, 6 Zylinder-Benz-Motor und einer 8ablodnik-Maschine (?), die aber von den Fliegern nicht gerne genommen wurde. Wir lagen mit 30 Mann in einem ehemaligen Kornspeicher. Von Ende November bis März 35-40 Grad Kälte. Fliegen unmöglich. Wir bekamen nur einen Eimer Kohle, was nur ein Tropfen auf einen heissen Stein war. Und so lagen in einer Halle ca. 1.000 Schwellen für den Eisenbahnbau. Jede Nacht wurde eine Schwelle in 3 Teile geteilt und in den grossen Ofen gesteckt, und so konnte im Frühjahr der Eisenbahnbau nicht stattfinden. Es war ein strenges Verbot, kein Öl oder Benzin unnötig zu verbrennen. Aber unser Stationsleiter Oberleutnant Schröder fuhr oft, streng dienstlich natürlich, nach Memel5, wo auch zufällig seine Frau wohnte, mit meiner guten 8 23 vollgetankt 250 l. Ich habe jeden Flug notiert, und es wurde geschoben mit Öl und Benzin und anderem. Oh weh, eines Freitags im August wollte Oberleutnant Schröder streng dienstlich nach Memel fliegen. Meine Nr. 2, gewissenhafter, junger Mann, hatte am Tage vorher Benzin aufgefüllt. Ich machte Motorprobe, der Motor sprang auch an und blieb stehen. Ich sah den Vergaser nach, er war voll Wasser. Aus dem Tank abgelassen kam ca. 25 l Benzin. Eine Sache. Aus dem Flug wurde nichts. Nächsten Tag, Nr. 1 und Nr. 2 von 8 23 vortreten zum Rapport. “Herr Oberleutnant, sie haben Waschbenzin aufgefüllt.” “Augenblicklich ist kein Waschbenzin auf Station,” gab ich zur Antwort. “Dann haben sie mit einem durchlöcherten Lederlappen aufgefüllt.” Da Lederlappen ein begehrter Artikel waren und immer gestohlen wurden, hatte ich ihn immer in der Tasche und konnte ihn so vorzeigen. Wir wussten genau, dass wir beide unschuldig waren und so war ich für alles gewappnet. Aber einen Freispruch gab es nicht. Weshalb er sagte: “Ich bestrafe Sie.” “Bitte, Herr Oberleutnant, die Sache vors Kriegsgericht.” Ich wartete eine Woche, noch eine Woche, aber es kam kein Kriegsgericht. Meine Kameraden kamen an dem Abend als wir bestraft werden sollte und sagten: “Clemens, was hast du dir da eingebrockt?” Ich hatte Beweise und sagte: “Wenn sie mich nach Köln schicken, nehme ich mir noch einige mit, die kein reines Hemd anhaben.” Aber es gab ja immer sogenannte Radfahrer, wie wir sie nannten oder Schmarotzer, und so ist bestimmt meine Äusserung gleich weitergegeben worden. Ich war fast 3 Jahre Soldat ohne Strafen und nach 3 Wochen wurde ich zum Obergest (?) befördert, was andere erst nach einem Jahr erreichten. Aber als Monteur bei Flugzeugen waren wir nicht mehr tragbar, und so wurde ich Kapitän auf der Dampfpinasse. Meine Nr. 2 Maschinist. Oh weh, was war dieser Kessel für ein Schrotthaufen. Wenn wir voll jelenzt (?) hatten und wir hatten Dampf auf, kamen wir gerade bis zum Bahnhof und mussten erst wieder Wasser aufnehmen, um Dampf aufzumachen. Eines Morgens gegen 5 Uhr grosser Alarm. Öl und Benzinlager flogen in die Luft, ein Fass nach dem andern ging hoch, und so stimmte die Inventur wieder. Un so kam die Revolution, was wir erst später erfuhren. Herr Oberleutnant war schon streng dienstlich nach Memel geflogen, auf Nimmerwiedersehen. Leutnant Hilger ohne Offiziersabzeichen und Soldatenrat brachte uns dann mit einem Dampfer nach Pillau6. Alles Mitnehmenswerte wurde da verladen und von Königsberg7 wurden wir dann entlassen.

Und so kam ich nach Berlin, wo mir auf dem Alexanderplatz ein Zettel in die Hand gedrückt wurde: Grosse Feier – Heimkehr der Krieger – und wo ich meine Frau, ein Mädchen aus dem Riesengebirge, kennenlernte. Aber ich musste sie als Siegerländer zum erstenmal auf die Schneekoppe führen.

Nachdem ich erst mal Weihnachten 1918 in Ferndorf verlebt hatte, fing ich am 2.1.1919 bei meinem Bruder8 in Berlin an und richtete eine Fabrik ein. Bei ganz kleinem Lohn, da aller Anfang schwer ist. 12 – 14 Stunden Arbeitszeit, sonntags auch noch, und 1920 lief der Betrieb einigermassen. Es wurden Schleif- und Poliermaschinen gebaut. Wenn meine Braut sonntags um 3 Uhr kam, war ich meist noch nicht gewaschen. Ende 1920 beteiligte sich mein Bruder an einer Fabrik in Rüdersdorf, wo ich wieder einrichten musste. Meinen ehemaligen Marinekameraden nahm ich mit und wohnte bei einer Familie Volkmann, wo uns Frau Volkmann das Essen kochte, wir aber alles heranschaffen mussten. Und so feierten wir Weihnachten 1920 Verlobung und Pfingsten sollte geheiratet werden. Wo wir wohnten, war noch eine Küche als Abstellraum, und ich sprach mit Volkmanns, ob ich die Wohnung eventuell zu Pfingsten haben könne, was mir auch halb zugesagt wurde. Aber es kam anders. Mein Kriegskamerad heiratete Ostern, bekam die Wohnung und ich musste ziehen. Aber ich hatte Glück, bekam eine ehemalige Kutscherwohnung, ein Häuschen mit Stall, und sehr, sehr nette Nachbarn, und so feierten wir Pfingsten 1921 unsere Hochzeit. Wir waren mit 14 Personen. Mein Monatsgehalt betrug 1.800 Mark. Wir kauften hintenherum 9 Pfd. Schweinefleisch für 910 Mark, 10 Pfd. Spargel für 240 Mark und anderes. Am nächsten Tag sagte ich zu meiner jungen Frau: “Die Hochzeit war ja nicht so besonders, aber wenn wir mal Silberhochzeit feiern, dann ganz gross. Oh weh, 1921 und 25 Jahre später ist 1946. Wenn ich den 81. Geburtstag noch erleben sollte, dann unterhalten wir uns weiter.

Und nun begann ein schwerer Anfang. Mein Kriegskamerad als Vorarbeiter, drei ehrliche Gesellen und zwei Lehrlinge. Wir bauten Giessereimaschinen. Ungünstige Lage 1 1/2 Stunden bis Berlin. Eine ehemalige Hutfabrik hatte Herr D. Neubert, Freiherr von Neuberg, mit viel Grundstücken und Fabrikräumen erworben. Sein Freund, Direktor Henke, ehemaliger Stärkefachmann, bekam die kaufmännische Leitung über drei Werke. Mein Bruder war mit 50 % beteiligt. Da aber durch die ungünstige Lage und so weit von Berlin alle drei Betriebe kaum lebensfähig waren, trat mein Bruder Ende 1921 wieder aus. Mein ehemaliger Kriegskamerad hatte mir schon die Wohnung weggenommen und wollte mich nun auch noch aus dem Sattel heben. Einer von den drei Gesellen erzählte mir eines Tages, wie schlecht er mich immer bei den Leuten machte. Ich sagte, wollen Sie mir das gegenüber auch verantworten, wenn ich Sie gegenüberstelle? Er sagte: “Ja.” Worauf mein Kriegskamerad fristlos entlassen wurde. Ende 1922 bin ich dann aus der Firma ausgeschieden, hatte Glück und bekam eine Tauschfirma nach Berlin. Stube und Küche, vier Treppen hoch. Hatte aber unbedingt den Drang, mich selbständig zu machen. Versuchte alte Fahrräder und Nähmaschinen aufzuarbeiten und zu veräussern. Eines alten Tages wurde im selben Haus ein Schumacherladen leer. Wir erwarben denselben mit einem ganz winzigen Ladentisch und einem Regal für 800’000 RM. Oh weh, was war das für ein Wanzennest. Wir konnten nachts nicht schlafen. Ich ging zu einem Malermeister und frug, was die Renovierung kosten würde. Kostenpreis 1’000’000 RM. Tut mir sehr leid, so viel Geld habe ich nicht. Zur Zeit waren sehr viele Arbeitslose in Berlin. Ich ging zum Arbeitsamt, sprach it einem alten, vertraulichen Malergehilfen und frug, ob er mir die verwanzte Wohnung stellen würde. Ja, Material selber einkaufen und Stundenlohn. Endeffekt 150’000 statt 1’000’000 RM.  Mit den Reparaturen von Fahrrädern und Nähmaschinen kam ich nicht so richtig in Gang, worauf wir Pfingsten 1923 ein Wirtschaftsartikelgeschäft für 3 1/2 Mill. kauften. Anzahlung 1’000’000 RM, Rest bis Samstag, sonst Anzahlung flöten. Dienstag nach Pfingsten grosse Reklame in der Zeitung, Amerika stabilisiert de Dollar auf 20’000 RM. Viele Werte aber kein Interesse mehr. Freitagabend fehlten uns noch 1 1/2 Mill. Nachts keinen Schlaf. Morgens um fünf Uhr fuhr meine Frau nach Rüdersdorf zu einem der besten Menschen auf dieser Welt. Mit Brief und Kaufvertrag usw. Herr Sitz gab meiner Frau das Geld und um 11.30 Uhr kam meine Frau freudestrahlend nach Hause. Ich fuhr gleich hin, bezahlte den Rest. Es war Samstag, der beste Geschäftstag in der Woche. Oh, war das eine Pleite. Abends hatten wir umgerechnet 1,– DM Kasse. Zu dieser Zeit wurde in Berlin noch sehr viel Petrolium verbrannt. Ein guter Bekannter, Chauffeur bei einem Börsenjobber, besorgte mir Dollar und gegen Dollar gab es Petrolium, was noch ein rarer Artikel war. Und so kam das Geschäft langsam in Gang. Aber scharfe Konkurrenz. Warenhäuser, Wochenmarkt und Grossfilialisten verkauften so, wie wir vom Grosshandel einkaufen mussten. Deswegen setzte ich mich eines Tages aufs Fahrrad und trommelte 20 Kollegen zusammen und kauften auch gross ein. Aber vom Grosshandel wurden wir verklagt, weil wir keine Grosshandelserlaubnis hatten. Von diesen Gruppen hatten sich in Berlin 16 zusammengefunden. Die Fabriken und Grosshändler rieten uns eine Genossenschaft zu gründen. So kamen 175 Geschäfte zusammen. Samstags kauften wir von Henkel je ca. 200 Kisten Persil, Henko, Imi, Sil und Ata, was mit einem schweren Laster abgeholt wurde. Wir unterhielten eine Verteilungsstelle, die wir mit drei Kollegen betrieben. Aber der Mensch will ja immer höher hinauf.

Mein Bruder war mit seiner Firma ziemlich hinuntergekommen. Es waren Wechsel von 30- bis 40’000 M geplatzt. Mein Bruder überredete mich mit 50 % in die Firma einzusteigen, wozu ich eigentlich sehr wenig Lust hatte. Es waren ein Geselle und zwei Lehrlinge vorhanden. Wir hatten Aufträge von Siemens, über Bohrmaschinenstative, wo wir im Monat ca. 10 St. herstellen konnten. Nach vielen Überlegungen, ob ich wieder hinschmeissen sollte oder nicht, hatte ich mich allmählich etwas eingelebt. Der vorhandene Maschinenpark war ein halber Schrotthaufen. Und so fing ich bei meinem Bruder mit 50 % Beteiligung an. Konnte vom 1.04.1935 bis Ende 1937 wöchentlich nur 40 R-Mark entnehmen. Von da ab 375,– M monatlich. Ende 1938 den 1. Urlaub. Wir fuhren vier Wochen in den Harz, Wernigerode. Mit gebrauchtem 1,2 Opel. Wir hatten herrliches Wetter. Aber viel militärische Behinderungen. Besetzung der CSR. Ich sagte meiner Frau: ” Wenn wir 1939 noch einmal in Urlaub wollen, müssen wir früh fahren, im Herbst haben wir Krieg.” Und so geschah es. Am 1.09.1939 musste ich Soldat werden. Ich kam nach Wilhelmshaven zur 2. Kraftfahrkompanie (Marine), aber nur 6 Wochen, weil zu viele eingezogen waren. So wurde ich vom SSW reklamiert. Der Maschinenpark hatte sich inzwischen verbessert, neue bekamen wir nicht, weil wir keine Kriegsaufträge hatten und lieferten monatlich 600 bis 1000 St. mit SSW Papieren direkt an die Kunden. Wir hatten sehr grosse Sorgen mit Arbeitskräften.

1941 kauften wir ein vierstöckiges Wohnhaus mit fünf Etagen Fabrikräumen. Der Verkäufer ein ehrlicher, alter Junggeselle. Es kamen neue Sorgen dazu. Fast alle Öfen im Haus mussten erneuert werden, weil vom Vorgänger nichts gemacht worden war. 27 Wohnungen, die fast alle reparaturbedürftig waren. Wir liessen alle Mieter zusammenkommen und erklärten, dass wir jeden Monat drei Öfen setzen lassen, und der Ofensetzer sollte bestimmen, welche am notwendigsten sind. Die Wohnungen könnten wir sowieso nicht machen lassen und schlugen vor, 4 % Mietnachlass zu gewähren und jeder sollte seine Wohnung allein reparieren lassen, was mit einigem Zögern auch angenommen wurde. Der Fahrstuhl vom Keller bis nach dem Boden war ein reines Wrack. Es durfte keiner mitfahren, er durfte nur von Etage zu Etage alleine mit Last fahren. Eines Tages war ich mit einem Lehrlin auf dem Boden, wollten Material herunterholen, hatten ihn gerade beladen, als der Fahrstuhl absackte und in den Keller ging. Die Fangvorrichtungen hatten nicht funktioniert. Wir hatten Glück, dass gerade keiner in dem Fahrstuhl war, sonst würde ich heute noch im Gefängnis sitzen. Im Seitenflügel, vier Treppen, wohnte ein Ehepaar Heinicke und hatten den Juden Karl Meyer aufgenommen. Seine Frau und Tochter waren morgens abgeholt worden, und er konnte noch rechtzeitig flüchten. Frau Meyer kam eines Tages ganz niedergeschlagen zu mir und sagte: “Herr Stahlschmidt, Sie wissen das ja auch, dass wir den Juden Meyer aufgenommen haben.” Ich sagte: “Frau Heinicke, ich weiss von nichts, hoffentlich verstehen Sie das.” “Dann bin ich Ihnen sehr dankbar.” Herr Meyer wurde bis Ende des Krieges unterstützt, von allen Hausbewohnern ohne Lebensmittelkarten durchgefüttert. Von Frau und Tochter ist nie wieder etwas in Erscheinung getreten. Und so ging der Krieg allmählich zu Ende. Mein Bruder war leider auch PG und durfte den Betrieb nicht mehr betreten. So machte ich mit einem Kompagnion den Betrieb weiter. Wir bekamen nur deshalb Leute, weil wir an fünf Tagen 48 Std. arbeiteten, Samstag frei, was streng verboten war. Samstags fuhr ich mit meiner Frau hamstern, für die Leute und uns. Nebenbei bauten wir Zentrifugen, die wir für Kartoffeln und Lebensmittel verhamsterten, was wir zu 80 % an unsere Leute verteilten. Aber eines Tages wurden wir von unserem Betriebsrat verpfiffen, der am meisten bekommen hatte. Und so kamen wir eines Tages vor den Kadi. Obwohl die Leute als Zeugen alle gut für uns aussagten, bekamen wir jeder 1 1/2 Jahre Zuchthaus. Hatten aber Glück, da zu dieser Zeit eine Amnestie Grotewohl war und so die Strafe gestrichen wurde und wir frei waren. Dann kam ein Finanzbeamter zu uns, wieviele Zentrifugen wir gemacht hätten? Vielleicht 12. Der Beamte sagte: “Sagen wir 120, Strafe 10’000 DM. Dann kam einer vor Gericht und sagte, wir sollten uns zu einem Unterwerfungsurteil bereit erklären. 15’000 DM. Dann kam das Gericht mit dem Zuchthausurteil. Wir sagten zu dem Richter: “Wir haben uns zu einem Unterwerfungsurteil bereit erklärt.” “Stimmt”, sagte der Richter. Ich klage Euch an wegen Betrug am Volkseigentum.

Unser Haus war durch Bomben ziemlich stark beschädigt. Dach, Fahrstuhl mussten vollständig erneuert werden. Fahrstuhl 20’000 DM, Dach neu decken Öfen setzen und anderes ca. 50’000 DM. Als es ziemlich fertig war, kam 1950 die Enteignung. Ich protestierte, da ich kein Nazi gewesen war. Der Rechtsanwalt schickte drei Schreiben, nach dem dritten Schreiben sagte er: “Ich bin zwar Rechtsanwalt, aber ich habe kein Recht.” In dem Schreiben vom 08.08.1951 wurde mir mitgeteilt, dass ich zwar kein Nazi gewesen bin, aber der Nutzniesser der Nazis. Wir mussten in unserem Haus 350.– DM Miete bezahlen. Die Fabrik wurde enteignet und wir durften weiter arbeiten. Aber kein Material, kein Stahlrohr. Eines Tages bekamen wir Zuteilung von einem Schrottplatz in Lichtenberg. Ich fuhr mit einem Lehrling hin und wir fanden gerade zwei Meter Rohr, die für uns passend waren, aber noch bearbeitet werden mussten. Wir machten weiter Lohnarbeiten, für Stahl und Walzwerk Hennigsdorf, wo das Material geliefert wurde. Für die Lieferung benötigten wir jedesmal einen Warenbegleitschein, den wir vom Bezirksamt Brenzlauerberg abholen mussten. Konnten aber niemanden dahinschicken, nur selber, wenn ein Pünktchen fehlte, zurück. Es waren drei Genossen, die uns abfertigten. Der Obergenosse nahm sich immer einen von uns Wartenden vor und erkundigte sich nach seiner Weltanschauung. Ich hatte dadurch viel gelernt und kam eines Tages auch dran. Er frug mich, wie ich über Krieg und Frieden denke. Ich sagte: “Ich habe zwei Kriege mitgemacht, hatte Glück, dass ich bei der Marine war und nicht auf jemand schiessen musste.” “Ich will mich deswegen nicht reinwaschen.” Aber ich frug:” Darf ich Ihnen auch mal eine Frage stellen?” “Wo fängt der Krieg eigentlich an?” “Ja, bei den Junkern und Kapitalisten,” sagte er. Ich antworte: “Nein, das stimmt nicht ganz, der Krieg fängt bei Vater und Mutter, Bruder und Schwester, Onkel und Tante, Neffe und Nichte an.” “Oder ziehen Sie mit Frau, Kindern und Verwandten alle an einem Faden?” Ja, das tun wir, war seine Antwort. Ich sagte: “Dann darf ich Ihnen gratulieren, ich wünschte, dass es in meiner Familie auch so wäre.” Ein grosses Gelächter hinter mir , und einer der drei Genossen hielt sich einen Aktendeckel vors Gesicht, damit man nicht sehen konnte, dass er auch darüber lachte. Und so vergeht die Zeit. Mein Kompagnion hatte sich nach Westberlin abgesetzt, und ich nahm einen Meister. Ein grosser Könner, aber undurchsichtigt. Man wusste nie, ob er noch Nazi ist oder Stalinist. 600,– DM Gehalt, für dort sehr hoch. Aber zwei- bis dreimal im Monat kam er, dass ich ihm fünfzig oder 100,– DM extra geben musste. Und so wurde das Verhältnis sehr trübe, und ich danke ihm, dass wir endlich erkannten, der DDR den Rücken zu kehren. Januar 1956 reichten wir einen Antrag auf Familienzusammenführung ein, welcher im Oktober genehmigt wurde. Jedes Stück Möbel, Geschirr, Messer und Gabel musste sechsfach eingereicht werden. Elektroherd und verschiedene andere Elektrosachen durften wir nicht mitnehmen. Und so begann der Kampf um einen Waggon. Am 15.12. rief ich noch einmal an. “Wenn Sie Weihnachten ziehen wollen, dann können Sie einen Waggon haben.” Ich sagte sofort ja. Der Waggon kam am Mittwoch vor Weihnachten. Ich sprach mit den Bahnbeamten und frug, wann der Waggon ungefähr in Übisvelde war. Und er sagte zu mir: “Wenn Sie Glück haben, ist er am 1. Feiertag da.” Und so fuhren wir Heiligabend um 0.30 Uhr von Berlin ab und waren um 7.30 Uhr in Übisvelde. Mit em Duplikatfrachtbrief frug ich, ob der Waggon da wäre. Ja, er war da. Ob nun die Feiertage oder sonstwie, es war nur ein ganz junger Volkspolizist da. Die Möbel mussten alle so verlagen werden, dass in der Mitte ein halber Meter Platz zur Besichtigung frei war. Und so sagte er: “Was haben Sie alles darin, was Ihnen nicht gehört?” Ich antwortete: “Nur, was wir uns in unserer 40jährigen Ehe angeschafft haben.” “Dann will ich das auf Ihr ehrliches Gesicht glauben.” Die Kontrolle war in fünf Minuten beendet. Was sonst oft Tage dauert, wird eventuell wieder zurückgeschickt, weil eine Stecknadel nicht nachgewiesen werden konnte. Obwohl die Fracht bezahlt war, haben wir noch 20,– DM nachzahlen müssen. Ich gab fünfzig Mark. “Nehmen Sie den Rest fürs Rote Kreuz.” Da sagten die Arbeiter: “Es ist heute Feiertag, und wir würden auch gern einmal eine Flasche Bier trinken.” Ich gab ihnen noch zwanzig Mark dazu. Wir haben dann noch viele Karten geschrieben, zweimal Mittag gegessen, weil der Interzonenzug erst um 1.00 Uhr abfuhr. Mit Rucksack beladen fuhren wir nach Hameln zum Schwager und zur Schwägrin, wo wir am 1. Feiertag abends ankamen.  Silvester kamen unsere Möbel, die vom Rangieren stark beschädigt worden waren. Wohnung bei Neffe und Nichte, Essen und Trinken gemeinsam.

Am 7.1.1957 fing ich bei meinem Schulfreund Otto Hähn an zu arbeiten. Und er sagte zu mir: “Du warst doch in Berlin selbständig, Du willst doch ier nicht als einfacher Arbeiter arbeiten.” Ich sagte: “Du könntest mir monatlich 10’000 DM geben, wenn ich auch nur über einen Mann bestimmen sollte. Aber ich will als Vorgesetzter mit Menschen nichts mehr zu tun haben.” Ich musste mir in Berlin als Chef zu viel gefallen lassen in dem Arbeiter- und Bauernstaat. Wenn dir deine Berichterstatter nach 14 Tagen sagen, das hat mit dem alten Mann keinen Zweck mehr, dann sei so freundlich und sage mir das, und ich bemühe mich anderswo. Du warst so freundlich, uns zu helfen mit Bescheinigungen und Arbeit, wofür wir dir sehr dankbar sind. Aber ich muss dir auch gleich sagen, dass die Beschäftigung nicht lange währen wird, weil ich mich mit meinem Neffen noch einmal selbständig machen will. So fingen wir nebenbei an zu bauen, mit Werkstatt und einer Wohnung für uns. Eines Tages, nachdem der Keller bereits fertig war, besuchte er mich mit seiner Frau im Keller. Wir tranken eine Flasche Bier zusammen, er sagte: “Du bist ja verrückt, dass du dich mit 63 Jahren noch einmal selbständig machen willst. Ich gebe dir schriftlich, dass dich bis 80 Jahre keiner entlassen darf.” Also haben sich die Berichterstatter nicht über mich beklagt. Er hat uns dann sehr viel geholfen mit Materialeinkauf vom Grosshandel zu billigeren Preisen für ca. 3000.– DM. Als ich nach der Rechnung frug, sagte mirder Buchhalter, warum ich es so eilig habe, ich solle abwarten. Nach Wochen immer noch Warten. Nach einem 3/4 Jahr sagte der Buchhalter, wie viel ich denn monatlich bezahlen könne. Ich sagte: “100.– DM.” “Darüber will ich erst noch einmal mit dem Chef sprechen,” sagte er.  Er kam zurück und sagte zu mir, dass ich 50,– DM monatlich zahlen solle, wofür ich sehr dankbar war und es nie vergessen werde. Und so wurde der Bau langsam fertig. Wir hatten eine Drehbank, Bohrmaschine und diverses anderes und wollten mit einem der Neffen anfangen und hatten auch einen Massenartikel, den wir in Lizenz fertigen sollten. Wir machten Muster davon, das Patent wurde erteilt, aber mein Neffe zeigte wenig Mut, sich selbständig zu machen, wofür ich unserem Herrgott dankbar bin. Wenn man sich selbständig macht und Aufträge haben will, dann ist die erste Frage, was das kostet, und die zweite, wann geliefert werden kann. Da meine Neffen nicht allzu arbeitsfreudig waren, hätte ich vielleicht noch abends bis um 10 Uhr in der Werkstatt gesessen und meine Neffen hätten um 16 Uhr Feierabend gemacht. Ich habe dann wieder bis 1964 bei der Firma Hähn gearbeitet. Die Werkstatt wurde verpachtet. Der Pächter hatte sehr grosse Drehbänke, Wohnung und Werkstatt waren zusammenhängend aus einer Decke gegossen. Wenn die Drehbänke liefen, wackelte bei uns die ganze Wohnung. Und so zogen wir von Ferndorf wieder weg, nach Wilgersdorf, in eine ganz ruhige Wohnung.

Eines Tages kam die Schwester vom Chef des Jung-Stilling-Krankenhauses, der Leute suchte ohne Lohn zur Arbeit. Meine Frau ist einige Male hingegangen zum Putzen und Bügeln, ich wurde mit offenen Armen als Platzkehrer, Essenwagenfahrer, Kartoffelkellerreiniger aufgenommen, bekam dafür Fahrgeld und Mittagessen. 1971 bot uns das Jung-Stilling-Krankenhaus in einem alten Bauernhaus eine Wohnung an, die wir uns schön sauber einrichteten. 80 Schweine, 2 Schafe und 16 Katzen. Ich frug, ob das Haus auch stehen bleiben würde. “Ja, es bleibt stehen, weil die Abfälle für die Schweine verbraucht werden sollen. 1974 grosser Neubau, Schweine und Schafe abgeschafft.  Der Chauffeur, der mit uns im selben Haus wohnte, wurde Hausverwalter im Neubau, und man bot uns noch sene verwohnte 4-Zimmerwohnun an, was wir ablehnten. Da ich täglich die Essenwagen fuhr, meistens Leute mitnahm, was ich nicht brauchte, weil ich mit einem Schlüssel fuhr, wurde ich täglich gefragt von Ärzten, Krankenpflegern und Schwestern: “Ja, Herr Stahlschmidt, so lange sie in dem Haus wohnen, bleibt das Haus stehen.” “Ach so”, sagte ich, “auf der Abbruchliste steht’s drauf.” “Ja, natürlich soll das Haus abgebrochen werden, aber darüber brauchen sie sich keine Gedanken zu machen.” Aber man fühlt sich dann doch auf’s Eis gelegt. Und so suchten wir eine neue Wohnung, die wir sehr schwer fanden. Weil das allmählich zu lange dauerte, und ich sagte: “Wir haben noch keine”, kam der 1. Chef, Dr. Wilhelm Jung: “Was der Stahlschmidt kann keine Wohnung finden?” “Bei meinen Verwandten in Freudenberg steht eine wunderbare Wohnung leer – zwei Zimmer, Küche, Bad, Heizung, alles!” Wir fuhren hin, Wohnung ganz neu renoviert, stand aber schon 3/4 Jahr leer. Das Haus gehörte dem Bundestagsabgeordneten a.D. Siebel. Wir sprachen miteinander, und Herr Siebel sagte: “Ja, wir suchen hier jemanden, der sich noch ein wenig um unseren Garten bemüht.” Das wollte ich gerne. Ich nahm das Angebot an. Ich fragte Herrn Siebel, wie alt er denn sei. “Ich bin 76 Jahre.” Dann muss ich Ihnen sagen, dass ich schon 78 Jahre alt bin. “Wollen Sie so einen alten Mann noch nehmen?” 3000 qm gross, viel Rasen, Obstbäume, Rosenbeete, 300 m Hecke scheren usw. 3/4 Jahr niemand dagewesen, und der Garten war ziemlich verwahrlost. Wir kamen zweimal nach Siegen und dann haben sie meine Frau breitgeschlagen, die mich immer gewarnt hatte. Aber es wurde mir nach zwei Jahren zu viel, und ich fuhr zu dem Sohn nach Buschhütten, weil Herr Siebel in der Zwischenzeit verstorben war und ich Frau Siebel, die herzkrank war, nicht anstrengen wollte. Zum Sohn der dort Pfarrer war, sagte ich: “Bringen Sie ihrer Mutter schonend bei, jemand anderes zu suchen.” Und die Wohnungssuche fing wieder von neuem an. So sind wir dann endlich in Brauersdorf gelandet. Es war unser 14. Umzug, wo wir sehr freundlich aufgenommen wurden. Noch heute wird mit Holz und Kohle geheizt. Wir gehen fast täglich 1 bis 3 Stunden spazieren und hoffen, unsere alten Tage hier zu Ende zu bringen.

Zeitungsartikel aus dem Jahr 1970 über den 75jährigen Clemens Stahlschmidt!

1 geschrieben und zur Veröffentlichung nach seinem Tode authorisiert im Jahr 19792 Siehe Kapitel “Robert – Teil 1″ und “Robert – Teil 2″
3
Der Onkel ist August Marx (*19.11.1851 in Ernsdorf als Sohn des Metzgers Heinrich Engel Marx und der Charlotte Henriette Schweisfurth)
4
Heute Ventspils in Lettland
5 Heute Klaipéda in Litauen
6 Heute Baltijsk in Russland
7 Heute Kaliningrad in Russland
8 Clemens’ Bruder in Berlin ist der am 8.2.1882 in Ferndorf geborene Bernhard Stahlschmidt